Leben und Alltag von Familien in Vietnam (LaVie)

Vietnamesische Migrant:innen in Deutschland sind in der Regel junge Erwachsene, vielfach Mütter bzw. Väter, die entweder zusammen mit ihren Kindern, Ehepartner:innen und anderen Verwandten oder ohne Familienangehörige im westlichen Ausland arbeiten, um mit dem Verdienst die Familie in der Heimat zu versorgen. Der Arbeitsaufenthalt in einem wohlhabenden Land entspringt der Hoffnung, der Armut in Vietnam zu entkommen und der Familie ein besseres Leben zu ermöglichen.

But when my sister moved to Paris, that is more about the finance because she’s married, and she
ha s to earn her own money to take care of us, her son and you know, you have family, the more like, the more easier your life go.

(Queeni, 22 Jahre, Studentin)

Im Herkunftsland ansozialisierte Konzepte von Fürsorge, Erziehung und Verantwortung stellen zentrale Bezugspunkte für die meisten Migrant:innen dar. Neben den sprachlichen Differenzen und der Verschiedenheit politischer und rechtlicher Ordnungen nehmen Vietnames:innen in Deutschland auch Wertvorstellungen und Familienkonzepte wahr, die ihren gewohnten Konzepten entgegenstehen; sie müssen immer wieder aufs Neue entscheiden, auf welche Selbstverständlichkeiten sie zurückgreifen können.

Eine kultursensible Vorbereitung auf das Leben und Arbeiten in Deutschland muss sich mit der Gefahr hegemonialer Tendenzen auseinandersetzen. Um den Anspruch der Überlegenheit hinsichtlich ver-meintlich richtiger oder falscher Verhaltensweisen entgegenzuwirken, müssen kulturell geprägte fa-miliäre Beziehungen und ihr jeweiliges Bedeutungssystem reflektiert werden. Hier setzt das vorgestellte Forschungsprojekt an.

Forschungsprojekt: Leben und Alltag von Familien in Vietnam und ihre Bedeutung für vietnamesische Migrant:innen in Deutschland
In einer qualitativen Studie basierend auf leitfadengestützten, teilstrukturierten Interviews mit jungen Menschen, Eltern und Fachkräften der Sozialen Arbeit, werden subjektive Erfahrungen in Bezug auf Familie, Erziehung, Bildung und Migration erforscht, um Bedeutungsmuster nachzuzeichnen und das Selbstverständnis der Interviewpartner:innen kennenzulernen.

Ziel des Forschungsprojektes: Vertiefung von Wissensbeständen zu sozialisatorischen Selbstver-ständlichkeiten von Vietnames:innen. Das erworbene Wissen kann dazu beitragen,

  • potenzielle Herausforderungen und Konflikte von Vietnames:innen in Deutschland (z.B. im Kontext von Kinderschutz) besser zu verstehen,
  • geeignete Konzepte und Methoden für die Vorbereitung auf das Leben in Deutschland bzw. die Lösung von Problemen in Deutschland zu erarbeiten,
  • den Zugang zu Migrant:innen aus Vietnam zu erleichtern,
  • die kultur- und diversitätssensible Gestaltung von Konzepten zur angemessenen Beratung und Begleitung von Migrant:innen aus Vietnam im Kontext von Fachkräftegewinnung und Sozialer Arbeit zu verbessern,
  • einen Beitrag zum gelingenden Einleben in das neue berufliche Umfeld in Deutschland zu leisten,
  • Überlegungen anzustellen, wie die Ergebnisse auf die Entwicklung von transkulturellen Konzepten der Beratung und Unterstützung in der Sozialen Arbeit im Allgemeinen übertragen werden können.

Forschungsfragen:
1. Welche Personen und Stationen sind Menschen in Vietnam im Prozess des Aufwachsens wichtig?

2. Welche Selbstverständlichkeiten in Bezug auf Familie, Identität, Erziehung und Bildung sind in vietnamesischen Familien bedeutsam?

Forschungssample und Forschungsdaten:
I. Qualitative Interviews in Vietnam (2022) mit:

  • 6 Eltern (5 Mütter, 1 Vater),
  • 7 Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen zwischen 15 und 22 Jahre,
  • 4 Fachkräften der Sozialen Arbeit von NGOs in Hanoi,
  • 2 kurze Gruppendiskussionen mit Studierenden einer privaten Universität in Hanoi.

II. Beobachtungsprotokolle von Alltagsbegegnungen in Vietnam (Oktober – Dezember 2022)
III. Qualitative Interviews mit Vietnames:innen in Deutschland und Vietnam (2023)

  • 7 Interviews mit Vietnames:innen, die in Deutschland leben, entweder selbst eingewandert sind oder in der zweiten Generation in Deutschland leben (Dezember 2023)
  • 5 Interviews mit jungen Erwachsenen in Vietnam (Dezember 2023).

Ergebnisse (Zwischenstand)

  • Vietnames:innen werden in Deutschland oft als homogene Gruppe betrachtet. Diese Einschätzung geht oft einher mit dem „Mythos der Vorzeigeminderheit“ (Hami Nguyen 2023) und positivem Rassismus: Vietnames:innen gelten als angepasst, fleißig und gut integriert.
  • Mit den Ergebnissen der Studie werden die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedern dieser Gruppe von Migrant:innen sichtbar.

Termine

  • 12/2024 (tentative) Exkursion mit einem Team der Vietnam-Japan University, Ha Noi, nach Lao Cai und Lai Chau in die segregated areas der Dao und Hmong; Erhebung ethnographischer Daten;
  • 05-09/2024 Online-Konferenzen zur Koordinierung der gemeinsamen Forschungsaktivitäten mit der Vietnam-Japan University, Ha Noi, und der University Osaka;
  • 01-04/2024 Datenauswertung Interviews Deutschland
  • 12/2023 Exkursion und Workshop mit Fachkräften der Jugendhilfe (Blue Dragon, Ha Noi); Exkursion und wissenschaftlicher Austausch mit der Dekanin und Mitgliedern der Fakultät für Soziale Arbeit der Trade Union University, Ha Noi; Interviews mit jungen Erwachsenen in Ha Noi und Sa Pa; fachlicher Austausch zu ersten Forschungsergebnissen mit Vertreter:innen des Goethe-Instituts Hanoi (Handout Lavie 2023)
  • 10-12/2023 Interviews mit Vietnames:innen in Berlin
  • 01-10/2023 Auswertung der Forschungsdaten des Forschungsaufenthalts in Vietnam 2022; Austausch mit dem Forschungsteam „Das neue vietnamesische Berlin“ im SFB 1171 „Affective Societies“
  • 10-12/2022 Forschungsaufenthalt in Vietnam (Nord) zur Felderkundung und Datenerhebung (Interviews, Teilnehmende Beobachtungen)
  • 12/2022 Teilnahme am DAAD-Workshop „The Implementation of Internationalization of H.E. in Germany and Vietnam“, Da Nang
  • 05/2020 Einladung zur internationalen Konferenz für Soziale Arbeit an der USSH in Hanoi; Forschungsverband HS Landshut, USSH, u.a. (abgesagt wg. Corona-Pandemie)
  • 12/2019 Teilnahme an einer Fact Finding Mission für HAW des DAAD in Vietnam; erste Kontakte zu den Universitäten USSH und TNUS;
  • 08-09/2017 erste Forschungsreise nach Ha Noi und Ho Chi Minh City; Gespräche mit Vertreter:innen des MOLISA, UNICEF und Trägern der Sozialen Arbeit mit Menschen mit Behinderung (Ford Foundation).

Team

  • Prof.in Dr.in Stefanie Sauer, Evangelische Hochschule Berlin
  • Christian Gedschold, M.A., PH Ludwigsburg
  • Frauke Risse M.A., Brandenburgische-Technische Universität Cottbus-Senftenberg